Joe Lewis und das Anwesen am Lago Escondido

Joe Lewis, geboren 1937, ist ein britischer Geschäftsmann, der seit den 90er-Jahren mit Devisen spekuliert. Den ersten grossen Reibach machte er (gemeinsam mit George Soros) im September 1992. Wie Soros wettete er auf die Abwertung des britischen Pfunds. Dieses fiel am sog. Schwarzen Mittwoch tatsächlich aus dem europäischen Wechselkursmechanismus heraus und wurde in der Folge um 15 % abgewertet. Das machte beide über Nacht zu schwerreichen Zockern. Zuvor hatten sie sich von britischen Banken Milliardensummen geliehen und damit insbesondere Deutsche Mark, aber auch französische Francs und andere westeuropäische Währungen gekauft. Nach der Pfundabwertung blieben ihnen 15 % der ausgeliehenen Summen als Spekulationsgewinn. Man vermutet, dass Lewis dabei noch mehr einkassierte als Soros. Drei Jahre später machte er dasselbe ein weiteres Mal mit dem mexikanischen Peso. Heute gilt er mit einem Vermögen von über 5 Milliarden Dollar zu den reichsten Männern Grossbritanniens. Er ist Hauptinvestor der Travistock Group, die mehr als 200 Unternehmen in 15 Ländern besitzt. Dazu gehören neben Finanzdienstleistern, Energieunternehmen, Hotels, Luxusimmobilien auch Sportmannschaften wie Tottenham Hotspur. Und ausserdem bedeutender Bodenbesitz wie das Gelände rund um den Lago Escondido (verborgener See) in Patagonien. Hier gehören ihm 120 Quadratkilometer Grundeigentum, eine Fläche, die etwa halb so gross ist wie der Kanton Zug. Der 9 km lange See selbst ist mit seinen fast 7 Quadratkilometern Fläche nur wenig kleiner als der Hallwilersee. In Argentinien sind Gewässer von Gesetzes wegen unverkäufliches Staatsgebiet, aber als Eigentümer sämtlichen Geländes am See gehört der Lago Escondido faktisch zu seinem Privatterritorium.

Der See und das Gebiet ringsum sind Teil eines Naturschutzgebiets, das in etwa 20 km Entfernung an Chile grenzt. Nach argentinischem Gesetz liegt das Gelände in einer Sicherheitszone und dürfte deshalb nicht an Ausländer verkauft werden. Tatsächlich erwarb Lewis 1996 das Stück paradiesischer Natur über den Immobilienmakler van Ditmar, einen Strohmann, der in Patagonien auch für die Benetton-Gruppe hunderttausende Hektar Land gekauft hatte. Das Gebiet, das nun Lewis' Besitz wurde, war zuvor Eigentum einer argentinischen Familie. Joe Lewis liess am östlichen Ufer des Sees ein hotelähnliches Herrenhaus und weitere Immobilien bauen. Die landschaftsarchitektonische Gestaltung übernahmen, wie oben ausgeführt und mit Fotos dokumentiert, Irene Walmsley und der Agraringenieur Julio Castelluci.

In den Jahren 2002 und 2003, als die Parklandschaft entstand, wurde die Legalität des Geländekaufs nicht in Zweifel gezogen. Für das Team um Irene Irene Walmsley und Julio Castelluci war es ein grossartiger Auftrag und eine ebensolche gestalterische sowie bauliche Herausforderung.

Schon wenige Jahre später begannen lokale Gemeinschaften, unter ihnen indigene Gruppen, die Folgen des Landkaufs durch den Engländer infrage zu stellen. Die Auseinandersetzungen dauern bis heute (2023) an. Auslöser für den Widerstand war die Tatsache, dass das Gelände eingezäunt wurde und nur Zutritt erhielt, wen der neue Besitzer einliess.

Die eingeleitete Untersuchung förderte Ungereimtheiten zutage. Man stellte fest, dass die Käuferschaft aus Briefkastenfirmen bestanden hatte und dass an lokale Beamte Bestechungsgelder geflossen waren. Im Jahr 2009 entschied der Oberste Gerichtshof der Provinz Rio Negro (zu der das Gebiet gehört), dass Lewis einen Zugang zum See zu schaffen, diesen zu beschildern und durchgängig zu halten habe. Das entsprach insofern argentinischem Recht, als jeder Wasserlauf öffentlich zugänglich sein muss. (Die Umstände des Landkaufs an sich waren zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht Gegenstand der juristischen Auseinandersetzung.)

Das Urteil wurde bis heute nicht vollzogen. Auch wenn das Gericht vier Jahre später (2013) erneut und diesmal konkret entschied, dass Lewis den Seezugang über den bestehenden Tacuifi-Pfad – über diesen gelangt man in wenigen Stunden an den See – zulassen müsse. Seit dieser Weg zum Privatbesitz erklärt wurde, ist das Gewässer nur im Sommer auf einem zweitägigen Ritt über einen gefährlichen Pfad erreichbar.

Da die staatliche Rechtsprechung, d.h. die Urteile der nationalen Gerichte nicht umgesetzt wurden, machen es sich seit 2017 private Organisationen – unter ihnen wiederum Vertreter der Urbevölkerung – zur Aufgabe, selbst für den Vollzug des Rechts besorgt zu sein. In der Folge wurden zahlreiche Protestmärsche zum See organisiert, an denen auch nationale Parlamentarier*innen sowie Vertreter von Nichtregierungsorganisationen teilnahmen. Beim sechsten Marsch wurden die Demonstrierenden gewaltsam gestoppt bzw. von Lewis' Sicherheitskräften angegriffen. Schon 2011 hatte van Ditmar, der einstige Strohmann und heute Lewis' rechte Hand, geäussert, er sei bereit, «mit einer Winchester in der Hand» den Zutritt der Einheimischen «wenn nötig mit Blut» zu verhindern. Es macht den Anschein, dass die Macht der privaten Sicherheitspolizei grösser ist als die der Provinzpolizei. Es überrascht darum nicht, dass die Kritiker das Gelände um den Lago Escondido inzwischen als Parallelstaat bezeichnen.

Im Jahr 2022 erliess die argentinische Unternehmensaufsichtsbehörde eine Resolution des Inhalts, dass Lewis' Unternehmen Hidden Lake S.A., die Briefkastenfirma, deren Zweck es ist, die Vermögenswerte am Lago Escondido zu verbergen, zu liquidieren sei (was womöglich auch den Besitzstand infrage stellt). Ob das je umgesetzt wird, ist offen, zumal Lewis weitgehend die Kontrolle über die lokale politische Macht zu haben scheint. So benannte die Provinz-Gouverneurin den Sachverhalt als «ideologische Angelegenheit» und meinte, die Sicherung des Seezugangs gehöre nicht zu ihren Prioritäten.

Wie weit hinauf der Einfluss des Milliardärs reicht, zeigte sich an der Rolle von Mauricio Macri, der von 2015-2019 argentinischer Staatspräsident war. Er ist mit Joe Lewis befreundet und soll von diesem Wahlkampfspenden erhalten haben. Während seiner Amtszeit änderte er mittels eines Dekrets das Gesetz, das den Verkauf grosser Landflächen an Ausländer verbietet. Das Dekret war von der Anwaltskanzlei ausgearbeitet worden, deren Sitz mit der genannten Firma Hidden Lake S.A. identisch ist. Joe Lewis liess demnach durch seine Anwälte selbst das Dekret entwerfen, von dem er seither profitiert.

Damit nicht genug. Gegen den Widerstand der Einheimischen plant Lewis derzeit (2022/23), südlich des Sees ein weiteres Schutzgebiet für sich zu nutzen. Er kaufte es 2017; es soll viermal so gross sein soll wie das Stadtgebiet von Buenos Aires. Pro Hektar bezahlte er 69 Pesos (entspricht gegenwärtig ungefähr 4 USD). Der Spottpreis erklärt sich aus der Tatsache, dass in die Urkunde der Name eines örtlichen «Pobladors» bzw. Siedlers eingetragen wurde. Lewis will das neue Grundstück für weitere private Projekte nutzen, u.a. um den bisherigen Besitz mit Wasser und (hydraulischer) Energie zu versorgen. Kurz nach dem Kauf begannen in der nahegelegenen Stadt El Bolsón Proteste gegen das Vorhaben.

Gegen Ende des Jahres 2022 ist das Gebiet am Lago Escondido erneut ins mediale Licht gerückt worden, zumindest von einem Teil der argentinischen Presse. Diesmal geht es nicht um den Seezugang und auch nicht um die Legalität des Besitztums. Vielmehr macht die Reise einer Gruppe hochrangiger Personen zum Anwesen von Joe Lewis Schlagzeilen. Am 7. Dezember 2022 titelte die «Buenos Aires Times», die einzige englischsprachige Zeitung Argentiniens: «Government denounces those involved in Lago Escondido scandal» (die Regierung verurteilt die am Lago-Escondido-Skandal Beteiligten). Die Zeitung reagierte auf einen TV-Auftritt des Staatspräsidenten Alberto Fernández und leuchtete die Hintergründe aus. In seiner Rede sagte Fernández, nun sei erstmals aufgedeckt worden, wie bestimmte Unternehmen Beamte, Richter und Staatsanwälte dazu brächten, ihnen Gefälligkeiten zu erweisen, und sie ermutigten, diejenigen zu verfolgen, die sich ihnen entgegenstellten. Darum habe er den Justizminister angewiesen, bei der Bundesanwaltschaft von Bariloche Strafanzeige wegen Korruption zu erstatten. Und zwar gegen eine Gruppe von zehn Leuten, die im Oktober in einem von der Zeitung «Clarin»1 bezahlten Privatflugzeug zu einem geheimen Treffen auf das Anwesen von Joe Lewis gereist waren. Tatsächlich bestand die Gruppe aus (namentlich bekannten) Richtern, Staatsanwälten, Beamten sowie Top-Führungskräften der Grupo Clarin. Der juristisch relevante Sachverhalt ist wohl nicht die Reise selbst – sie mochte ethisch fragwürdig sein, illegal war sie kaum –, sondern der Versuch der Gruppe, die geflossenen (Korruptions)Gelder mittels gefälschter Rechnungen zu verschleiern.

Das Ganze wurde bekannt, weil die privaten Chat-Nachrichten einzelner Teilnehmer geleakt und daraufhin von der Tageszeitung «Pagina/12» veröffentlicht wurden. Es stellte sich heraus, dass das Treffen auf dem Anwesen von Joe Lewis hauptsächlich politischen Zwecken diente. Solchen zugunsten des Ex-Präsidenten Macri und zum Schaden des jetzigen Präsidenten Fernández. (Wie im benachbarten Brasilien und in den USA zeigt sich auch in Argentinien die Polarisierung zwischen unversöhnlichen Lagern, auf der einen Seite die Anhänger des Kircherismus, dem der jetzige Präsident zuzurechnen ist, auf der anderen Seite die Konservativen, zu denen Macri gehört.2)

Soweit der Stand der Dinge im Januar 2023. Was die bis heute nicht umgesetzten Gerichtsurteile gegen den britischen Milliardär betrifft, so dürfte klar sein, wessen Standpunkt die ‘Reisegruppe’ vertritt.


  1. «Clarin» ist gemäss Wikipedia die meistgelesene Tageszeitung des Landes und zugleich die mächtigste Mediengruppe des Landes. ↩︎

  2. Macri werden Bespitzelungen von Richtern, Staatsanwälten, Journalisten und anderen Medienvertretern während seiner Amtszeit vorgeworfen. Auch dass er sich mit Politikern, Geheimdienstmitarbeitern und Bauunternehmern darüber unterhielt, wie sich falsche Anschuldigungen gegen Gewerkschaftsmitglieder konstruieren liessen. (Quelle: Wikipedia.) ↩︎